Mit der Überquerung des Pazifiks von den Galápagos-Inseln zur Inselgruppe der Marquesas in französisch Polynesien steht die längste Ozeanpassage unserer Reise an. Über 3100 Seemeilen wollen wir diesen größten unserer Ozeane bezwingen. Im Gegensatz zur Atlantiküberquerung, die irgendwie machbar erschien, auch weil ich die ja schon einmal als Crew erleben durfte, ist die Anspannung schon etwas größer. Nicht nur wegen der bloßen Distanz, die es zu segeln gilt. Sondern auch, weil uns auf unserer harten Überfahrt nach Galápagos der Pazifik so richtig gezeigt hat wie giftig er sein kann. Und zusätzlich, weil nach dieser ekligen Passage einiges an der Sea Pearl zu richten war und der Ankerplatz in Puerto Ayora auf Santa Cruz, an dem wir als Absprungpunkt liegen, eben alles andere als gemütlich und sicher nicht mit dem Komfort einer Marina ausgestattet ist. Auf der anderen Seite ist aber eben auch in den harten Bedingungen nichts Substantielles am Schiff kaputt gegangen und die Möglichkeiten zum Verproviantieren übersteigen unsere Erwartungen deutlich. Und noch etwas ist wunderbar: Mit Marco, der uns schon von den Kanaren auf die KapVerden begleitet hat, haben wir tolle Unterstützung an Bord. Wir wissen, dass wir uns zu dritt auch auf langen Schlägen gut verstehen und freuen uns deshalb auf die gemeinsame Herausforderung. Mit viel Vorarbeiten sowohl für YouTube, als auch Brose und an Bord mit kleineren Reparaturen und Systemchecks verbringen wir arbeitsreiche Tage in der rolligen Bucht. Wir schaffen es sogar noch Tauchen zu gehen und mit Marco sowohl die Nachbarinsel Floreana als auch die Insel Santa Cruz per Guide zu erkunden.
Am Montag den 18. Juli gehen wir Anker auf und machen uns auf den Weg nach Westen. Wie auch schon auf dem Weg zu den Galápagos-Inseln nutzen wir nicht nur unsere eigene Interpretation des Wetters und die Wetterdaten, die wir über unser Satellitentelefon empfangen können, sondern zusätzlich Sebastian Wache von der Firma WetterWelt in Deutschland. Wir haben eine tolle Prognose. Wind von etwas mehr vorlich als von der Seite und kräftiger Schiebestrom durch den kühlen Humboldt-Strom zum Start und dann ein über Wochen absolut stabiles, mehrere hundert Meilen breites Band aus Passatwind mit knapp über zwanzig Knoten aus SE, für uns also von schräg hinten. Das sind Idealbedingungen, die der Sea Pearl liegen. So ist auch trotz der vergleichsweise hohen Wellen das Leben an Bord ziemlich angenehm und vielleicht am wichtigsten: Wir kommen zügig über diesen riesigen Ozean. Außerdem wissen wir das Schiff in guter Ordnung und dank Luisas Planung perfekt verproviantiert. Nur meine Gesundheit spielt zum Start nicht so wirklich mit. Ich habe mir beim Tauchgang mit den Hammerhaien eine recht schmerzhafte Entzündung im Ohr zugezogen. Wir denken eigentlich eine Mitteohrentzündung, wie sich bei einem späteren Arztbesuch auf einem Heimaturlaub herausstellt, war es wohl eine Gehörgangsentzündung. Ich verbringe also die erste Woche mit Antibiotika und einer Mütze am Kopf. Gut nur, dass es durch das relativ kühle Meer um uns herum noch nicht ganz so tropisch warm ist.
Dank der stabil guten Wettervorhersage, uns dreien als Crew und dem Vertrauen in die Sea Pearl starten wir zwar angespannt ob der langen Strecke, aber auch mit viel Vorfreude auf diese einmalige Passage. Mit uns – jeweils einen Tag zeitversetzt – starten auch noch die Schiffe Mabel Rose mit Robin und Karl (einen Tag vor uns), Independence mit Candy und Rick (einen Tag nach uns) und Invictus mit Denise und Robert (zwei Tage nach uns). Mit diesen vier Schiffen und Stella Maris von Kathi und Jürg, die etwas größeren Vorsprung haben, machen wir eine Satellitentelefon-E-Mail-Gruppe auf und aktualisieren täglich zur gleichen Zeit jeweils unsere Positionen und das Wetter. Für uns wird das ein Highlight des Törns, weil nach einigen Tagen nicht nur Position und nautisch relevante Daten ausgetauscht werden, sondern jede Crew auch die Geschichten des vergangenen Tages mit einarbeitet. So gibt es auf jedem Boot (und besonders bei Mabel Rose) immer mal wieder etwas zu feiern, was dann meistens mit einem besonders leckeren Essen gewürdigt wird. Manchmal ist es die Überquerung eines unterseeischen Rückens, dann Wal- oder Delfinsichtungen, unsere schöne gefangene Goldmakrele, Halbzeit, noch 1000 Meilen zum Ziel oder Ähnliches. Irgendwie tut es gut, mit Gleichgesinnten regelmäßig zu kommunizieren, obwohl wir alle ja ganz bewusst uns freiwillig diese Strecke in Angriff genommen haben – und alle anderen Boote ja sogar nur als Paar, ohne weitere Hilfe. Dank der täglichen Positionsupdates entwickelt sich zumindest zwischen Mabel Rose und uns aber auch eine kleine Regatta. Jeder, der schon mal mit am Boot war, weiß um den Satz: „Zwei Boote sind eine Regatta“. Und das gilt genauso auf einer 3100 Seemeilen Überfahrt über den Pazifik. Mabel Rose ist zwar kürzer und damit etwas im Nachteil, wird dafür von Robin und Karl wirklich ambitioniert gesegelt. Aber ob es uns gelingt einen ganzen Tag rauszufahren? Wir fiebern in jedem Fall jedem Positionsreport entgegen, tragen immer als gemeinsame Tätigkeit die Positionen der anderen Schiffe in die elektronische Seekarte ein und vergleichen so, ob wir schneller oder langsamer waren als die anderen Boote.
Dank dem Schiebestrom und gutem, konstanten Wind über 20 Knoten kommen wir gut voran. Wir schreiben regelmäßig Etmale von 170 und mehr Seemeilen ins Logbuch. Das ist gigantisch gut und natürlich ein Motivations- und Moralbooster für die ganze Crew. Außer dem virtuellen Kontakt nach Hause, zu den angesprochenen anderen Schiffen und unseren täglichen Einträgen im Predict-Wind Tracking für unsere „Patreons“ haben wir dabei keinen Kontakt nach außen. Über die ganze Strecke sehen wir nur vier andere Schiffe – alles Fischer. Das ist nochmal deutlich weniger als am Atlantik oder auch noch in Küstennähe Richtung Galápagos.
Langweilig wird es aber trotzdem nicht. Zuerst braucht das normale Leben einfach etwas länger und ist etwas aufwändiger als an Land, weil sich immer alles bewegt. Dann gibt es auf langen Passagen bei uns die Regel: Mindestens eine Bootsarbeit am Tag. Wir machen das, um kleine Unregelmäßigkeiten so schnell zu beheben oder reparieren, dass erst gar kein ernsthafter Schaden entsteht. Und wenn es nichts zu reparieren gibt, wird halt mal besonders sorgfältig geputzt, mit Schrubber und Schwamm während der Fahrt der Wasserpass vom Deck aus von Algen befreit (natürlich angeleint) oder ein kleiner „Anschlagschutz“ für eine Schranktüre gebastelt oder oder oder… Daneben lesen wir alle, vor allem aber Luisa und Marco, einige Bücher und beschäftigen uns viel mit dem Wetter voraus. Ich lese mich schonmal in die Hafen- und Revierführer für französisch Polynesien ein. Regelmäßig versuchen wir außerdem unser Glück beim Angeln. Leider nur ein einziges Mal mit Erfolg. Dafür einer wunderschönen und leckeren, 70cm langen Goldmakrele. Der gute Fisch reicht uns für drei Abendessen. Und Essen oder eher die Zubereitung ist auch klar die Hauptbeschäftigung bei uns an Bord auf Passage, gerade wenn das Wetter so stabil und damit erwartbar ist. Einer passt oben, vielleicht lesend, auf, dass sich alles im erwarteten Rahmen bewegt und unten wird gekocht. Meist gibt es, wie auch schon am Atlantik, ein etwas späteres Frühstück und dann ein so frühes Abendessen, dass die erste Nachtwache pünktlich zum Sonnenuntergang starten kann. Und was für gigantisch schöne Sonnenuntergänge (und Sonnenaufgänge) wir erleben! Das Farbspiel ist einfach immer wieder grandios. Und so weit draußen und ungestört von anderen Einflüssen extra intensiv.
Unser Wachsystem ist dabei recht simpel. Jeder muss rotierend einmal für vier Stunden nachts ran. Rotierend meint, dass derjenige, der am ersten Tag die Abendwache, also Sonnenuntergang +4 Stunden hat, in der Nacht darauf dann die Hundewache (Stunde 5-8) übernimmt und in der dritten Nacht die Sonnenaufgangswache. Tagsüber ist zwar einer am Vormittag und einer am Nachmittag „eingeteilt“, nachdem aber da sowieso immer jemand wach ist, leben wir da kein strenges System. Und auch die Nachtwachen sind eher Schauen und Sternegucken. Unser „Peterle“, also die Windfahnensteuerung mit Markennamen Windpilot, steuert mehr oder minder die komplette Pazifikpassage durch. Je nach Wind muss man an der Windfahne etwas den Kurs nachjustieren oder die Segel etwas mehr reffen oder wieder mehr setzen. Und viel mehr passiert nicht. Nachts wird nicht geangelt, wenn die anderen schlafen, nichts gekocht (außer vielleicht einem Tee) und Schiffsverkehr gibt es auch keinen. Wir können also mit allen Sinnen die Geräuschkulisse des Bootes beim Weg durch und über die Wellen und die verschiedenen Geräusche und das gelegentliche Pfeiffen des Windes im Rigg, aber vor allem den überbordenden Sternenhimmel genießen.
Wohl nirgends auf der Welt gibt es so wenig Streulicht wie mitten am Pazifik. Und tatsächlich erwischen wir mehrere sternenklare Neumondnächte auf See. Mit dem gigantischsten Sternenhimmel, den man sich vorstellen kann. Irgendwie auch besonders, dass diese Eindrücke zumindest unsere Kameras an Bord noch nicht wirklich einfangen können. Beim Wachwechsel werden neben der erlebten Wind- und Bootsgeschwindigkeit und etwaigen Kurskorrekturen nicht selten auch die Anzahl der gesichteten Sternschnuppen ausgetauscht. Wir haben dabei nochmal Glück mit dem Wetter. Nicht nur der Wind passt, nach einigen Tagen mit hoher Bewölkung rund um Galápagos haben wir tagelang stabiles schönes Wetter und uns erwischt nur selten mal ein Squall, also eine kurze starke Regenzelle, im Passatwind.
So vergehen unsere Tage mit schnellem Segeln, gutem Essen und Gottseidank wenig Aufregung und Schäden an Bord. Wir loggen stetig hohe Etmale und kommen also gut voran. Irgendwann kristallisiert sich für uns dann der 4. August als Landfall auf Hiva Oa in den Marquesas heraus. Weil der Wind in den letzten Tagen vor dem Ziel aber nochmal etwas nachlässt, rollen wir die ausgebaumte Genua weg und setzen unseren roten Parasailor. Der Parasailor ist ein 120 Quadratmeter großes Segel für Wind von weiter hinten als querab. Damit dieses Segel auch im Wellengang möglichst stabil steht und aber auch Druckspitzen durch kurze Böen einfach abbauen kann, hat es in der Mitte einen den Paraglidern nachempfundenen Flügel, der das Segel aufspreizt und gleichzeitig auch etwas Auftrieb erzeugt, unseren Bug also ein klein wenig aus den Wellen „lupft“. Mit diesem riesigen Segel geben wir nochmal richtig Gas. Eigentlich nur, weil wir rechtzeitig zur Ankunft von Marcos Freundin Julia, die uns die folgenden drei Wochen begleitet, da sein wollen. Aber sicher auch, um unsere Regatta mit Mabel Rose zu gewinnen. Denen ist leider der Aufnahmepunkt für ihren Spinnaker am Mast (Spinnaker ist quasi unser Parasailor nur ohne den Flügel, man braucht deshalb einen Baum (Stange) vom Mast zu diesem Segel um es aufzuspreizen) in einem verpatzten Manöver kaputt gegangen und die beiden können ihr großes Segel mit Wind von hinten deshalb nicht mehr benutzen.
So schaffen wir es tatsächlich noch am vorletzten Tag und der letzten Nacht an Mabel Rose vorbeizuziehen und wir laufen glücklich und ziemlich stolz auf diese große Ozeanpassage nach etwas über 18 Tagen in die Bucht von Atuona ein. Uns empfängt eine erstaunlich ruhige Bucht mit vielen anderen Segelbooten, total freundlichen Einheimischen und sooo vielen Grüntöne. Wir klarieren in französisch Polynesien ein, was als Europäer wirklich einfach ist, lassen uns in der einzigen Bar das erste Hinano, das lokale Bier, schmecken und gönnen uns dann zum Abendessen an Bord eine Flasche Champagner, etwas Pastete mit frisch gebackenem Brot und lassen uns es gutgehen.
Mehr von unserer Zeit auf den Marquesas schreibe ich wieder hier auf unserem Blog in der nächsten Zeit. Tagesaktuell gibt es uns auf Instagram oder während wir auf Passage sind unter Patreon und im bewegten Bild auf YouTube. Danke für jeder Art eurer virtuellen Begleitung.
Danke für eure Zeit, um uns mit auf eure Reise zu nehmen und an eurem Abenteur teilnehmen zu lassen.
Wie immer informativ geschrieben und als Einsprengsel auch einiges Segeltechnisches super erklärt sowie wundervolle Fotos. Und schon wieder solange her !!!!!