Nach der Arbeitszeit in Bocas und der Urlaubszeit in den San Blas Inseln, beides auf der Atlantikseite Panamas, geht es für uns Anfang Juni durch den vielleicht bekanntesten Kanal der Welt: Den Panamakanal.
Der Panamakanal verbindet zwischen der Stadt Colón auf der Atlantikseite, wo auch die Sea Pearl in der Shelter Bay Marina liegt, und Panama City, den Atlantik mit dem Pazifik. Der Kanal selbst ist nur knapp 40 Seemeilen lang und führt über wesentliche Strecken über einen künstlich aufgestauten See, den Gatún-See. Dieser See ermöglicht es, dass man nicht ganz so tief in das Gebirge der Landbrücke eingraben musste und bringt uns und die Sea Pearl zum ersten und einzigen Mal auf etwas anderes als Meereshöhe. Ganze 26 Meter hoch liegt der Wasserspiegel im Kanal. Um dort hinzukommen führen vom Atlantik drei Schleusen direkt hintereinander in die Höhe (die Gatúnschleusen) und auf der Pazifikseite zuerst die Pedro-Miguel Schleuse und etwa eine Meile dahinter die Miraflores-Schleusen wieder in die Tiefe. Damit wir mit unserem privaten Schiff den Kanal befahren dürfen, müssen wir einige Voraussetzungen erfüllen, im Rückblick ist das aber weniger als gedacht. Wesentliche Teile der Organisationsarbeit nimmt uns auch ein Agent ab. Zuallererst müssen wir von der Kanalbehörde mit der Sea Pearl vermessen werden. Leider verlässt man sich nicht auf Zeichnungen oder Dokumente vom Bau des Schiffes. Stattdessen wird ein Vermessungsingenieur zu uns an Bord der Sea Pearl geschickt, der die wesentlichen Maße (Länge über alles, Breite, Tiefe, Abstand Steuerstand zum Heck) mit einem Maßband abmisst und in seine Formulare überträgt. Anschließend erklärt er noch den grundsätzlichen Ablauf, welche Optionen der Schleusung es gibt und überprüft rudimentär, ob an Bord z.B. ein Nebelhorn oder ein Kompass und eine Toilette für den Lotsen vorhanden sind. Nach dieser Vermessung wird uns eine SIN (Ship Identification Number), die so etwas wie der Startpunkt für alle weiteren Aktivitäten rund um die Kanalpassage ist, zugeteilt. Mit dieser Nummer kann der Agent für uns die Durchfahrtstermine vereinbaren und wir uns auf die Passage vorbereiten. Neben dieser SIN brauchen wir Folgendes:
- Funktionierende Positionslichter
Eigentlich ja selbstverständlich, nachdem unsere aber in den ekligen Am-Wind-Bedingungen in den Bahamas ihren Dienst quittiert haben, sind wir froh das mein Vater funktionierenden Ersatz aus Deutschland einfliegt und wir den am Tag vor der Durchfahrt montiert bekommen.
2. Eine Maschine
Segeln ist in den Gewässern des Kanals verboten und man muss eine Mindestgeschwindigkeit einhalten, um innerhalb des Fahrplans der Kanalbehörde zu bleiben. In den offiziellen Dokumenten steht etwas von 8 Knoten Fahrt, das schaffen aber nur die wenigsten Segelboote unter Maschine, mit den von uns angegebenen 6 Knoten war auch jeder zufrieden. Ein Maschinenausfall im Kanal ist so ziemlich das aufwändigste und teuerste, was passieren kann. Wir lassen deshalb noch in der Shelter Bay Marina einen kompletten Motorenservice machen.
3. Vier Linehandler
Neben dem Schiffsführer muss jedes Segelboot vier sogenannte Linehandler an Bord haben. Das sind die Personen, die die Leinen (2 vorne, 2 hinten), mit denen das Boot in den Schleusen festgemacht wird, bedienen. Wir sind glücklich, dass uns für die Kanaldurchfahrt mein Vater, meine Stiefmutter und Luisas Mutter an Bord besuchen. So sind wir zu fünft komplett und können die Durchfahrt als Familienboot genießen.
4. Panamakanal-konforme Leinen und Fender
Um sicherzustellen, dass die Leinen lang genug sind und auch die Kräfte beim Schleusen aushalten, werden von der Kanalbehörde 4 2/3-Zoll dicke und jeweils 60 Meter lange Leinen pro Boot vorgeschrieben. Und um zu verhindern, dass wir uns irgendwo an den Schleusenwänden (die man sowieso nie berühren sollte) oder anderen Schiffen einen Kratzer holen, sind 8 große Kugelfender je Boot vorgeschrieben. Beides haben wir so nicht an Bord, die Agenten sind aber darauf vorbereitet und bringen das leihweise vor der Passage an Bord und holen es mit einem Shuttleboot direkt nach der letzten Schleuse im Pazifik wieder ab.
5. Einen Advisor
Damit wir den Ablauf im Kanal nicht durcheinander bringen und damit die Großschifffahrt nicht durch uns Nussschalen behindert wird, bekommt jedes Sportboot einen Advisor für die Kanalpassage zugeteilt. Das ist oft (so auch bei uns) ein Angestellter der Kanalbehörde in irgendeinem anderen Bereich, der sich durch die „Durchfahrtshilfe“ für Segler etwas dazu verdienen kann. Auf den großen Schiffen fahren „echte“ Lotsen der Kanalbehörde mit, die dort auch während der Passage tatsächlich das Ruder und damit die Schiffsführung übernehmen. Diese Lotsen gelten in Panama fast als so etwas wie Halbgötter. Die wenigen Positionen werden wohl regelmäßig aus einem kleinen Kreis von „Lotsenfamilien“ besetzt und über die Gehälter kursieren solch astronomische Summen, dass ich das hier gar nicht wiedergeben mag. Unsere Advisor sind dagegen meist ziemlich lockere und entspannte Leute, die meist die Zeit auf unseren Segelbooten regelrecht genießen. Was auch einfach ist, wir müssen nämlich regelmäßig für warme Mahlzeiten und dazwischen Snacks und Getränke sorgen. Es ist sogar in den Regularien des Kanals festgeschrieben, dass ein kaltes Sandwich zum Beispiel nicht als vollwertige Mahlzeit für den Advisor zählt. Durch die viele Erfahrung rund um den Kanalbetrieb und im speziellen der Schleusung von Segelbooten, hilft der Advisor an Bord ungemein. Er gibt nicht nur Anweisungen wie ich das Boot am besten steuere, sondern hilft auch zum Beispiel beim Vorbereiten der sperrigen „Kanalleinen“, dass dann in der Schleuse alles reibungslos funktioniert.
So vorbereitet warten wir also an dem uns zugewiesenen Ankerplatz außerhalb der Shelter Bay Marina am 7.6.2022 am späten Nachmittag auf unseren Advisor. Von ihm erfahren wir dann, dass wir gemeinsam mit einem weiteren Segelboot, der „Gringo“, geschleust werden. Das heißt, dass die beiden Boote außerhalb der Schleusen aneinander längsseits festgemacht werden und die gesamte Prozedur im Päckchen absolviert wird. Für uns hat das gleich zwei Vorteile. Zum einen hat die Gringo den stärkeren Motor und muss also den Vortrieb für beide Boote liefern. Wir müssen unseren Motor zwar ständig mitlaufen lassen, sind aber nur auf Stand-By. Und zum Anderen, vielleicht noch viel angenehmer, wir müssen statt vier Leinen zu den Schleusen logischerweise nur noch zwei bedienen. Die beiden anderen Leinen übernimmt das andere Boot im Päckchen auf deren „Außenseite“. So sind bei uns an Bord Luisa am Bug und mein Papa am Heck mit den Kanalleinen beschäftigt, ich sitze oder stehe neben dem Gashebel, habe aber eigentlich nichts zu tun und meine Stiefmutter und Luisas Mama können das Erlebnis aus vollen Zügen genießen und versorgen uns alle mit den entsprechenden Bildern und Videos.
Unserem Advisor nehmen wir um 17:00 Uhr Ortszeit an Bord und motoren dann etwas über eine Stunde bis vor den Eingang in die Gatún-Schleusen. Nach dem drei Kammern in die Höhe sind wir um kurz vor 21:00 Uhr oben im Gatún-See angekommen und fahren dort noch ein kurzes Stück an eine Warteboje. Wir vertäuen die Sea Pearl für die Nacht an der Boje, der Advisor des ersten Tages wird abgeholt und wir genießen die Nacht mitten im Dschungel, mit entsprechender Geräuschkulisse und Insekten, aber eben auch neben einem der Nadelöhren des Welthandels. Auch Nachts läuft der Betrieb unvermindert weiter und es reihen sich Tanker und Containerriesen im Fahrwasser wie an der Perlenschnur aneinander. Und einige – am nächsten Morgen zähle ich zehn – der großen Schiffe absolvieren die Kanalpassage scheinbar nicht am Stück sondern warten im Gatúnsee auf die Weiterfahrt am nächsten Morgen – wie wir.
Früh um acht wird dann mit einem Lotsenboot der nächste Advisor aufs Schiff gebracht. Jetzt steht – im Tageslicht, also gut für uns und sogar fast ohne Regenzeit-Wolkenbruch – die eigentliche Kanalfahrt an. Über sieben Stunden geht es zuerst durch die aufgestaute Wasserfläche des Gatún-Sees, aus dem ehemalige Hügelkuppen heute wie mit Dschungel bewaldete Cup-Cake-Inseln ragen, und anschließend durch die „echten“ Kanalabschnitte in denen der Kanal durch den Gebirgsrücken Mittelamerikas gegraben wurde. Gleich nach einer Biegung im Streckenverlauf nahe bei der Stadt Belem tut sich vor uns der schicksalsträchtige Gaillard-Cut auf.
Hier durchquert der Kanal einen ehemals bis zu 500 Meter hohen Berg. In diesem Kanalabschnitt haben unter mörderischen Arbeitsbedingungen auch die meisten der 20.000 Todesopfer während der Bauzeit ihr Leben gelassen. Und an der Geologie der Bergkette sind auch die ersten beiden französischen Kanal-Baugesellschaften Ende des 19ten Jahrhunderts gescheitert. Nicht nur, weil zumindest die erste dieser beiden Gesellschaften noch versucht hat einen Kanal auf Meeresniveau (analog des erfolgreich so durch den gleichen Chefingenieur Lessépes gebauten Suez-Kanals), sondern vor allem weil die Infrastruktur und die Schwierigkeiten einer so großen Baustelle im unwegsamen Dschungel unterschätzt wurden. Neben Arbeitsunfällen und Erdrutschen durch die tropischen Regenschauer waren damals neuartige Krankheiten wie Malaria und Gelbfieber die Hauptursachen für den hohen Zoll an Menschenleben während des Kanalbaus. Letztendlich war es dann aber bei beiden französischen Versuchen den Kanal zu bauen Geldmangel, der die Vorhaben beendet hat. Weil Panama zur Erlangung der eigenen Unabhängigkeit 1903 von Kolumbien eine Schutzmacht gebraucht hat und auch weil die ingenieurtechnische Vorarbeit der zweiten französischen Kanalbaugesellschaft so fundiert war, haben sich dann 1904 die USA bereiterklärt Panama in die Unabhängigkeit zu helfen und im Gegenzug das Recht erhalten den Kanal mit den zweiten französischen Plänen zu bauen. In einer Mammutleistung aus genialem Projektmanagement verbunden mit massivem Einsatz aller verfügbaren neuen Technologien und Unmengen an Arbeitskräften, eigentlich aus dem ganzen karibischen Raum und damit die erste große Gastarbeiterbewegung der Neuzeit, ist es gelungen den Kanal sogar leicht vor dem Zeitplan 1913 fertig zu stellen und 1914 in Betrieb zu nehmen. Das Infrastrukturprojekt war damals das mit Abstand größte von Menschen geschaffene Wasserbauwerk und die Schleusen auf beiden Seiten des Kanals bis nach dem zweiten Weltkrieg die größten Stahlbetonkonstruktionen der Welt. Wie robust damals geplant wurde zeigt vielleicht auch, dass die Gatún-Schleusen, durch die wir mit der Sea Pearl fahren, noch genau die gleichen sind wie im Jahr 1914. Und sogar seitdem, außer für Wartungsarbeiten, ununterbrochen in Betrieb. Nachdem wir ganz unspektakulär durch diese historisch interessante Engstelle gefahren sind, liegt gleich schon die Pedro-Miguel Schleuse vor uns. Wir lassen einen Autofrachter vor und fahren dann selbst in die Schleuse, um die ersten 8 Meter wieder nach unten in Richtung Pazifik abgesenkt zu werden. Nach der Schleuse kommt dann kurz mal Hektik bei den Advisoren auf. Weil zu wenig Personal in den Schleusen verfügbar ist, entscheidet die Kanalbehörde in den nachfolgenden Miraflores-Schleusen die „zweite Spur“ außer Betrieb zu nehmen und plant deshalb einen weiteren Autofrachter vor uns ein. Wir werden deshalb gemeinsam mit dem zeitgleich mit uns in den Kammern geschleusten Chemie-Tanker nach hinten geschoben und warten die knappe Stunde, bis die Einfahrt in die Kammer wieder frei ist, an einer Warteboje ab. Wirklich spannend, dass so eine kleine Ungereimtheit im Prozess scheinbar so besonders ist, dass beide Advisoren uns erzählen, in ihren >20 Jahren am Kanal, hätten sie das noch nie erlebt. Auch das zeigt, wie wichtig es für die Kanalbehörde ist, einen absolut reibungslosen Ablauf in dieser Engstelle für einen Großteil des Welthandels sicherzustellen. Nicht auszudenken, welche Auswirkungen auch nur ein halber Tag Verzögerung durch eine Blockade des Kanals auf die Warenversorgung vor allem der amerikanischen Ostküste aus China hätte. Nur eines der größten Containerschiffe der neuen Neopanamax-Klasse, die durch die seit 2016 in Betrieb befindlichen, größeren, zweiten Schleusentreppen, den Kanal befahren, hat mehr als 10.000 40-Fußcontainer mit vermutlich jeweils abertausenden Amazon-Lieferungen im Gepäck. Solch ein Frachter zahlt für die Passage bis zu einer Million an Durchfahrtgebühren. Für die Reedereien lohnt sich das trotzdem, da der Kanal den Seeweg von Asien um mehr als 5.000 Seemeilen verkürzt (weil man sonst unten um Südamerika herum ums Kap Horn oder anders herum um die Welt Richtung amerikanischer Ostküste fahren müsste). Das spart nicht nur Schweröl und andere Betriebsstoffe für diese riesigen Schiffe sondern vor allem auch Zeit. Wir kleinen Segelboote unter 65 Fuß Länge (wir haben 45 Fuß, also 13,76m) zahlen für die Passage pauschal 1.600 Dollar. Als Eintrittskarte in den Pazifik und damit überhaupt Möglichkeit die weiteren Ziele anzusteuern und auch den ganzen Aufwand und das Erlebnis um uns herum ein akzeptabler Preis. Der Agent bekommt für die Organisation der Vermessung und des Durchfahrt-Termins, das Bereitstellen der Fender und Leinen, aber auch der Erledigung von anderen Formalitäten rund um uns in Panama wie zum Beispiel die Ausklarierung oder die Beantragung und Ausstellung des Cruising Permits (der Befahrenserlaubnis für das Boot) nochmal knapp die gleiche Summe. Damit wird die Kanalpassage zu einem der teuren Einzelposten auf der Reise und auch die Zeit in Panama in Summe, wegen des Werftaufenthalts im Bocas für ein neues Unterwasserschiff und der Service- und Wartungsarbeiten in der Shelter Bay Marina, ganz schön teuer.
Als das letzte Schleusentor der Miraflores-Schleusen am Nachmittag nach der Kanaldurchfahrt aufgeht, liegt ein neuer Ozean vor dem Bug. Wir laufen ganz langsam und ein wenig ergriffen unter der „Bridge of the Americas“ aus der Kanalzone aus, motoren noch ein Stück durch den riesigen Hafen von Balboa und sehen dann links von uns die beeindruckende Skyline von Panama City und voraus den riesigen Pazifik, den wir im kommenden halben Jahr mit unserer Sea Pearl erkunden wollen.
Die Kanalpassage ist ein absolut einmaliges Erlebnis für uns. Nicht nur, weil alles so reibungslos läuft. Wohl nirgendwo sonst kommt man den Ozeanriesen so nahe. Durch die vielen Hintergrundinformationen und Geschichten, die uns beide Advisoren erzählen, taucht man wirklich tief in diesem gewaltigen Betrieb mit ein. Und weil unsere Kanalpassage auf zwei Tage verteilt war und wir die Übernachtung im Gatún-See quasi oben drauf noch bekommen haben, hatten wir wirklich das volle Panamakanal-Erlebnis-Paket und mit der Zeit das auch alles in sich aufzunehmen.
Im kommenden Blogeintrag nehme ich euch dann mit auf unsere Ausflüge in Panama-City. Wie immer freuen wir uns über eure Kommentare und Nachrichten über egal welches Medium. Tagesaktuell mit einigen Bildern gibt es uns außerdem auf Instagram und im bewegten Bild auf YouTube.
Hallo ihr beiden,
Wieder mal ein absolut interessanter Beitrag mit vielen historischen und spannenden Details. Danke für euer nicht nachlassendes Engagement uns an eurer Reise teilhaben zu lassen und uns neben tollen Bildern auch Hintergründe zu erzählen.
Als einer der Teilnehmer kann ich nur bestätigen, welch einmaliges Erlebnis eine solche Kanalschleußung ist. Alles so beschrieben, wie es war. Einfach toll,