Mit der Kolonialisierung der “neuen Welt” und insbesondere der Karibik verbindet man wohl hauptsächlich England, Spanien und Frankreich. Und bis jetzt war es auch auf unserer Reise so, dass die verschiedenen Insel dies- und jenseits des Atlantik von einer dieser früheren Kolonialmächte mehr oder minder stark beeinflusst sind/waren oder im Fall der französischen Überseedepartements sogar noch als Staatsgebiet dazugehören (winzige Ausnahme bisher waren die KapVerden, die früher einmal zu Portugal gehört haben). Das ändert sich jetzt, haben sich doch damals natürlich auch andere europäische Mächte am Wettrennen um profitable Kolonien beteiligt. Wir segeln also nach der entspannten Zeit in St. Kitts and Nevis (ehemals Britisch) zu einer der niederländischen Antillen: St. Eustatius oder kurz Statia.
Wenn man heute von den niederländischen Antillen spricht, meint man meist die sog. ABC-Inseln (Aruba Bonaire und Curaçao) ganz im Süden das karibischen Meeres, knapp vor der venezuelischen Küste, aber die Niederländer hatten eben auch hier im Norden des Antillenbogen drei Stützpunkte. Im Gegensatz zu Ihren Rivalen in der Kolonialisierung war das Hauptziel nicht möglichst viele gewinnbringende landwirtschaftliche Güter zu erzeugen, sondern das zu tun, mit dem man auch in der alten Welt erfolgreich war: Handel. Dafür war Statia perfekt geeignet. Zu klein und größtenteils zu gebirgig um für die Konkurrenz mit ihrem Hunger nach landwirtschaftlicher Fläche interessant zu sein, dafür mit einer riesigen Bucht mit moderat flachem Wasser (wenn auch für uns Segler etwas zu wenig vor der Dünung des Atlantiks geschützt, um perfekt zu sein). Hier konnte man mit wenigen Befestigungsanlagen einen Hafen sichern, der in seiner Blütezeit der zentrale Drehpunkt für alle Waren, die nicht direkt aus den Kolonien nach Europa oder zurück gebrach wurden, für die neue Welt war. Die Insel war als Freihandelshafen so reich, dass sie auch der “goldene Fels der Karibik” genannt wurde. Angeblich standen die Lagerhäuser entlang der Bucht der Hafenzeile des damaligen Amsterdams in nichts nach. Heute ist davon kaum mehr etwas zu sehen. Das liegt neben regelmäßigen Piraten-Attacken in der Vorzeit vor allem an der zerstörerischen Kraft von Wirbelstürmen, die die schlimmsten Wellen und Winde in der Karibik meist aus Süd-Ost bringen, genau aus der Richtung aus der die Bucht total offen ist und auch an einem geschichtsträchtigen Ereignis…
Vom heute wie ein Freilichtmuseum perfekt restaurierten Fort Oranje wurde 1798 direkt nach der Unabhängigkeit der USA von England einem Schiff unter der neuen amerikanischen Flagge Salut geschossen. Als Zeichen der Anerkennung des neuen Staates – und damit war Statia das erste Gebiet weltweit, das die USA als unabhängiges Land anerkannt hat. Nicht verwunderlich, wurde doch nahezu der komplette militärische Nachschub für die Armee der späteren Sieger über Statia abgewickelt und man hat mit dem Unabhängigkeitskrieg gut verdient. Blöd nur, wenn die Hauptabnehmer der eigenen Waren und Nachbarn die unterlegenen Briten sind. Aus Rache (sicher hat es aber einen anderen Vorwand gegeben) wurde die Insel komischerweise kurz danach von englischen Freibeutern (also königlich “angestellten” britischen Piraten) angegriffen und geplündert und anschließend von allen britischen Kolonien im Handel abgeschnitten. Heute ist die Insel ein extrem verschlafenes Nest. Haupt-Einnahmequelle ist ein riesiges Öldepot (da ist er wieder, der Handel) und Tauchtouristen, die die spektakuläre Unterwasserwelt erkunden. Uns gefällt die Insel richtig gut. Alles ist irgendwie aufgeräumt und hübsch hergerichtet, die Hafenpolizei ruft für uns Zoll- und Einwanderungsbehörde an, damit wir zügig in das Land einreisen können und nachdem sowieso jeder jeden kennt, bekommen wir zeitgleich nicht nur die Stempel für die Ausreise (geht ja niemand verloren auf der Insel) sondern auch noch Tipps für ein tolles Lokal zum Abendessen. Was für uns nur als Trittstein auf dem Weg nach Norden gedacht war, entpuppt sich so als wunderbare Abwechslung. Wir haben sogar so viel Zeit, dass wir die übriggebliebenen Sehenswürdigkeiten zu Fuß abklappern können (viel ist’s aber nicht: das Fort Oranje, eine Kirche, das ehemalige Haus des Gouverneurs und zwei Straßen mit toll restaurieren Häusern aus der Kolonialzeit) und dann in eben diesem Lokal eine Sundowner mit Blick auf die Sea Pearl in der Bucht vor Anker nehmen können. Wer hätte gedacht, dass in der kleinen Insel Statia so viel Geschichte steckt.
Am kommenden Morgen fahren wir aber trotzdem weiter. Wir haben frischen Wind und wollen zu der nächsten niederländischen Insel: Saba. Das ist ein Vulkankegel, der auf allen Seiten quasi ansatzlos mit Steilwänden aus dem Meer ragt – und mit 724m der höchste Berg der Niederlande. Die Insel ist so abweisend, dass es gleich gar keine wirkliche Kolonialisierung gab – wohl aber eben einige holländische Bauern- und Fischerfamilien, die sich gerade deshalb hier niedergelassen haben und auch heute noch die Vorfahren der Inselbevökerung sind. An den einzigen Siedlungsgebieten in Tälern hoch oben zwischen den Berggipfeln (bezeichnende Namen: The Bottom und The Top) war man wenigstens vor Piratenangriffen sicher. Eigentlich wollen wir uns diese exotische Insel mit den angeblich freundlichsten Bewohnern der Karibik in Ruhe ansehen – nur das Wetter spielt nicht so richtig mit. Einen Hafen gibt es auch heute noch nur für die unregelmäßig verkehrende Fähre zu den Nachbarinseln Sint Maarten und Statia. Alle anderen Boote müssen an Bojen (auch zum Schutz der wohl noch beeindruckenderen Unterwasserwelt als auf Statia) festmachen. Blöd nur, dass die mehr oder minder kreisrunde Insel die Wellen nicht abhält, sondern auch im Windschatten quasi umbiegt und auch dort arg spürbar macht. Und weil wir ja eben einen ziemlich stark ausgeprägten Passat haben, steht um die ganze Insel eine entsprechend unangenehme Atlantikwelle. Wir machen an einer der Bojen auf der wind- aber leider nicht wellengeschützten Seite fest (auch das leider ein ziemlicher Kraftakt, weil die Festmacher eher für kleine Kreuzfahrtschiffe gemacht zu sein scheinen als für uns). Vom Ankerplatz sehen wir perfekt die Hauptattraktion der Insel: The Ladder, über 800 in die Felswand gehauene Stufen mit einem Zollhäuschen oben drauf, die früher der einzige Zugang zur Insel war. Landschaftlich einer der beeindruckendsten Plätze, die wir bisher mit der Sea Pearl bereist haben. Nur leider ist es auch am nächsten Morgen so extrem unruhig, dass wir uns nicht einmal trauen das Beiboot zu Wasser zu lassen. Nichts wird es also mit einer Wanderung auf den höchsten Berg der Niederlande – aber gesehen haben wir ihn immerhin…
Bei immer noch starkem Wind und deshalb unter stark gerefften (also verkleinerten) Segeln machen wir uns deshalb auf den Weg nach Sint Maarten. Der Kurs führt – zum ersten Mal seit Antigua schräg gegen den Wind und wir müssen sogar mal aufkreuzen, also im Zick-Zack mit Wind von links bzw. rechts vorne fahren, um unser Ziel, die Stadt Philipsburg, zu erreichen. Wegen des Hin-und Herfahrens brauchen wir wirklich den ganzen Tag und sind froh, diese recht anstrengende Segelstrecke zwar salzverkrustet, aber sicher geschafft zu haben. Die nächste niederländische Spezialität ist die Insel selbst. Zunächst sowohl von Franzosen als auch Niederländern besiedelt, hat man sich darauf geeinigt, die Insel entlang eines Laufwettbewerbs zweier Kolonisten zu teilen. Beide sind am gleichen Punkt gestartet und je nachdem wer wie weit gekommen ist, hat dem jeweiligen Staat ein Teil der Insel gehört. Diese Teilung hat noch heute Bestand und wurde auch in Zeiten der Kolonialisierung nie in Frage gestellt. So teilen sich die beiden Länder diese kleine Insel. Die Niederlande haben – rein geographisch – nicht nur den kleineren Teil der Insel für sich, sondern auch noch einen Großteil als Sumpfland bzw. flache Lagune. Und trotzdem pulsiert hier das Leben. Unser erster Stopp, Philippsburg, ist eines der Kreuzfahrtzentren der Karibik mit teilweise mehr als vier(!) der Riesenschiffe je Tag. Die Stadt mutet deshalb auch ein wenig wie ein Outlet oder eine amerikanische Mall an – der Zollfreiheit sei dank, kaufen die Touristen hier meist kräftig ein. Sint Maarten – und dort speziell die durch eine Zugbrücke (das dürfte auch die einzige in der Karibik sein) für Boote zugängliche Lagune ist das Yacht-Zentrum der nördlichen Karibik. Nahezu jeder mögliche Platz am ehemaligen Ufer ist mit Hafenanlagen gesäumt und man bekommt jede Art von Schiffsausrüstung oder Reparaturen in Fußdistanz erledigt. Auch wir fahren deshalb in die Lagune und arbeiten an unserer (zum Glück sehr kleinen) To-Do Liste um die Sea Pearl im Topzustand zu halten.
Bei der Anfahrt zu unserem Liegeplatz passiert mir dann der bisher peinlichste Fehler der Reise. Ich bringe die Informationen aus der elektronischen Seekarte und der Realität nicht zueinander, bleibe dann aber noch im Glauben “das geht schon” und fahre die Sea Pearl mitten in dem Gewusel aus anderen Booten mit Ansage in den Schlick. So fest, dass auch der intensive Einsatz unseres Rückwärtsgangs nichts mehr bringt. Wir stecken fest. Gottseidank ist viel los und man hilft sich unter Seglern. Wir winken also vorbeifahrende Beiboote voran und werden von vier davon mit in Summe mehr als der 3,5-fachen Motorleistung sanft aus dem Schlick bugsiert. Passiert ist – außer Kratzern am Ego – nichts… puh.
Wir nutzen die gute Infrastruktur, waschen Wäsche, organisieren uns und bekommen auf einem Inselspaziergang nicht nur neuen Proviant nach europäischem Maßstab besorgt, sondern besichtigen auch noch die letzte Spezialität der niederländischen Antillen: den Maho Beach. Das ist ein wunderschöner Strand (leider total eingefasst von Hotelbauten) und das Highlight ist die Start- und Landebahn des internationalen Flughafens, die direkt gegenüber der Straße beginnt. Wir sind also für ein paar Minuten Plane-Spotter und genießen den Nervenkitzel, wenn die landendem Maschinen zum Greifen nahe über einem einschweben. Beim Start der Jets ist der Rückstoß so heftig, dass einige der Besucher regelrecht von den Beinen geblasen werden. Wir halten uns deshalb außermittig und sind danach trotzdem wie sandgestrahlt. Ein witziges, aber auch irgendwie irres Erlebnis.
Nach der produktiven Zeit in der Lagune von Sint Maarten und den so ganz verschiedenen Eindrücken dieser nördlichen niederländischen Antillen verholen wir uns zum Entspannen auf die französische Inselseite. In den dortigen Buchten vor Marigot oder der Grand Case geht es zu wie auf den beliebten Ankerplätzen bei Martinique und Guadeloupe weiter im Süden. Wir genießen die Gesellschaft anderer Segler, lernen einige neue Gesichter kennen und verabreden uns mit Bekannten auf einen Sundowner an Bord ihrer hübschen Yacht. Außerdem treffen wir ein Pärchen aus Franken, die uns im Internet intensiv verfolgen, die wir aber sonst noch gar nicht kennen, auf ein Frühstück in einer schicken Strandbar. So lernen wir auch mal außerhalb von Familie und engen Freunden, wie unsere virtuelle Begleitung der Reise so ankommt. Mit so guter Infrastruktur, Gesellschaft und französischem Essen lassen wir es uns entspannt gutgehen. Dank absolut sicherer Ankerplätze und genug Platz für die vielen Schiffe kann uns auch das in diesen zwei Tagen ziemlich launische Wetter nicht viel anhaben. Der sonst so konstante Passatwind ist gerade mal gestört und statt ruhiger Schönwetterwolken mit einem kurzen Schauer hie und da ziehen regelmäßig heftige Regenschauer mit ziemlich starken Windböen über uns und die Insel weg. So schlechtes Wetter haben wir schon lange nicht mehr gehabt. Gut nur, dass die Restaurants in der Grand Case tolles französisches Essen zur Abwechslung bieten.
Den Besuch der Insel rundet dann ein Strandtag auf der unter Naturschutz stehenden Ile Tintamarre ganz im Nordosten ab. Diese kleine Insel ist heute ein Naturparadies wie man es sich kaum besser vorstellen kann: Weißer Sandstrand, türkises Wasser, streng geschützt und deshalb mit vielen Schiffen und einige Meeresschildkröten. Die der Vergangenheit hat die Insel einige kuriose Geschichten zu bieten gehabt. Zunächst ein eher ärmlicher Außenposten mit Landwirtschaft in Zeiten der Kolonialisierung hat sich im frühen zwanzigsten Jahrhundert ein Niederländer auf der Insel selbst zum König ausgerufen und fast zwei Jahrzehnte auch quasi absolutistisch regiert – inklusive des Versuchs am europäischen Heiratsmarkt eine Frau zu finden. Und weil die Insel im Gegensatz Ihrer großen Nachbarn so flach ist, war die Insel zu Zeiten der Luftfahrtpionieren ein wichtiger Flughafen und Basis der ersten karibischen Fluglinie. Ganz schön kuriose Geschichten für so einen kleinen Flecken Land. Wir genießen die Ruhe der Insel bei einem ausgedienten Strandspaziergang, erkunden ein auf der Atlantikseite angespültes Wrack und lassen uns dann bei einem tollen Sonnenuntergang den Sundowner als Abschluss unserer Runde durch diese niederländisch geprägte Inselwelt an Bord schmecken.
Wie es für uns dann in Anguilla (wieder Britisch) weitergeht, schreiben wir wieder hier in den kommenden Tagen. Danke fürs Mitlesen und eure virtuelle Begleitung. Lasst uns doch gerne einen Kommentar da, wenn ihr euch etwas andere Schwerpunkte oder mal einen dezidierten Blogbeitrag zu einem speziellen Thema wünscht.
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Superinformativer Blog; Dank dafür!!!
Herrlich zu lesen und anzuschauen!!!! Sehr informativ und interessant geschrieben. Tolle Aufnahmen vom Meer, den Meeresbewohnern und von euch 😊😊😊😊