Mit dem Ende unseres „Omega-Kurses“ durch die Karibik Ende Mai und der „aufgefrischten“ Sea Pearl mit neuem Antifoulinganstrich in Bocas, geht für uns ein neuer Reiseabschnitt los. Wie ihr hier auch an der Frequenz unserer Blogeinträge gemerkt habt – danke an die, die trotzdem noch mitlesen – bedeutet das für uns eine Umstellung im Bordalltag. Wir haben von Ende Mai bis Anfang September durchgehend Besuch an Bord, enge Freunde und Familie, die uns entweder einfach nur an besonders schönen Stellen der Reise besuchen kommen, oder wichtige Teilstrecken als Mitsegler im Pazifik unterstützen. Wir freuen uns, dass so viele liebe Menschen die teilweise abenteuerlich langen und auch kostspieligen Anreisen auf sich genommen haben, um bei uns an Bord dabei zu sein. Und wir wollen keinen dieser Besuche missen. Aber die Begleitung an Bord bedingt eben etwas veränderte Tagesabläufe und Prioritäten, und so fällt das Blogschreiben für mich hinten runter. Ich gelobe aber Besserung und ein möglichst schnelles „Aufholen“ zurück zur Echt-Zeit oder zumindest dem, was wir in den bewegten Bildern auf YouTube zeigen.
Der neue Reiseabschnitt beginnt für uns mit einem Highlight jedes Seglers in Panama: einem Besuch in der autonomen Region der San Blas Inseln, die vom Volk der Guna Yala nach ganz eigenen Regeln bewohnt und auch verwaltet wird. Für die knapp zwei Wochen begleiten uns Giulia und Martina an Bord. Die beiden kommen in der Shelter Bay Marina an Bord. Dieser top geschützte Hafen liegt im Eingangsbereich des Panamakanals auf der Atlantikseite von Panama und ist das Drehkreuz für alle, die entweder in Panama länger segeln oder durch den Kanal in Richtung Pazifik wollen (wie wir). In der Anlage gibt es alles, was man braucht um ein Schiff für die langen anstehenden Etappen vorzubereiten und gleichzeitig organisiert der Hafen Einkaufstouren mit dem Bus für alle Gäste in top sortierte und erstaunlich günstige Supermärkte der nahen Großstadt Colón. Wir verproviantieren also neu, geben noch einen Abschluss zwischen unserer Sprayhood (das Zeltdach über unserem Niedergang) und dem Bimini (dem Sonnendach über dem Cockpit) in Auftrag, damit es dazwischen nicht mehr reinregnet und organisieren eine Inspektion des Motors und des kompletten Riggs (also dem Mast mit allen Leinen und Drahtseilen darum herum). Leider verzögert sich dann die Vermessung der Sea Pearl für den Panamakanal um einen Tag, weil der für Freitag eingeteilte Vermesser COVID bekommen hat und es fast unmöglich war einen Ersatz aufzutreiben. Martina und Giulia nehmen es trotz Regenwetter (in Panama geht die Regenzeit von Mai bis November, und die Wolkenbrüche und Gewitter, die wir hier erleben sind wirklich beeindruckend) mit einem Bier in der Hand im Pool der Marina Gottseidank gelassen.
Mit vereinbarten Terminen für die Sea Pearl und vor allem der begehrten Ship-Identifiktion Number, also so etwas wie dem Ausweis zum Befahren des Panamakanals nach der Vermessung, brechen wir also zu viert zu einem Urlaub im Urlaub in den San Blas Inseln auf. Das Guna Yala Gebiet, dass neben den vorgelagerten Palmen-Sand-Inseln auch die Festlandküste auf der Atlantikseite von Panama ziemlich ab der nördlichsten Punkt bis zur Grenze mit Kolumbien im Südosten umfasst, wir als autonome Region von den Guna Yala selbst verwaltet. Auch, wenn das natürlich nicht der korrekte Begriff ist und sie selbst lieber „natives“ also so ähnlich wie im deutschen Ureinwohner genannt werden wollen, verwende ich im Text wechselnd ab und an den Begriff Indianer. Das ist selbstverständlich keinerlei Wertung noch bin ich mir sehr wohl bewusst, dass Panama nicht in/bei Indien liegt, sondern dient lediglich der Vereinfachung beim Schreiben.
Diese Guna Yala haben es, auch dank des extrem blutigen Zurückdrängens des panamaischen Einflusses bis hin zur Autonomie heute – und strengsten Regeln innerhalb der Gemeinschaften – geschafft, ihre Kultur und Lebensweise nahezu unverändert beizubehalten. Die spannenden Unterschiede zu den Gesellschaftsformen, die wir gewohnt sind, oder auch nur das davon, was wir mitbekommen haben, sind folgende:
- Aller Besitz ist matriarchalisch geregelt und die älteste Frau das Familienoberhaupt. Männer ziehen nach der Heirat also in das Haus/Dorf ihrer Frau und helfen ab da, im Haushalt der Frau mit. Trotzdem ist eine typische Pflicht der Männer die Pflege der Landwirtschaft (am Festland) oder der Kokosnussbäume der Familie (auf den Inseln) oder Fischfang bzw. Jagd und die Frauen kümmern sich um Küche und handwerkliche Arbeiten, insbesondere die Herstellung von Molas (später mehr dazu). Die Aufgabenverteilung ist also ähnlich wie bei uns in „Stammeszeiten“
- Die gesamte Gemeinschaft wird von einer Art basisdemokratischen System aus Räten und Versammlungen gesteuert. Hier sind wiederum meist (aber nicht nur) Männer die Abgesandten des jeweiligen Dorfes. Immer drei Personen repräsentieren den Rat des jeweiligen Dorfes und erfüllen zeitgleich eine religiöse Funktion. Einer davon wird wiederum in den „Congresso“ abgesandt, so etwas wie die Nationalversammlung und drei gewählte Congresso-Abgesandte bilden die Regierung. Diese Dorfräte tagen regelmäßig, teilweise wohl jeden Werktag abends und jeder Dorfbewohner darf bzw. sollte daran teilnehmen. Die drei gewählten Oberhäupter nennt man „Sailas“, die wiederum über Berater oder eine Art Übersetzer mit dem Dorf kommunizieren. Den Übersetzer braucht es wohl auch deshalb, weil die Sailas oft eine Art vergorenea Yamswurzel-Bräu zu sich nehmen, um Kontakt zu anderen Welten aufzunehmen.
- Damit sind wir bei drei: In der Guna Yala Mythologie gibt es nicht nur Diesseits und Jenseits sonder eine große Zahl von Infra-Welten. Menschen leben zwar nur in der „mittleren Zwiebelschale“ aber auch alle weiter „oben“ oder „unten“ liegenden Welten sind von mythologischen Wesen bewohnt und haben eine Funktion. Und alle diese Welten stehen in Wechselwirkung miteinander. Von den Menschen können aber nur Sailas kurzzeitig in diese anderen Welten wechseln.
- In Ermangelung einer eigenen Währung sind Kokosnüsse (zumindest auf abgelegenen Inseln bis heute) Zahlungsmittel. Und jede Kokospalme, auch auf scheinbar unbewohnten Inseln, hat eine Besitzerfamilie. Die Kokosnüssen auf dem Palmen sind also so etwas wie das Familienbankkonto. Wir konnten aber einfach mit unseren Dollars bezahlen.
- Die Guna Yala verdienen heutzutage neben dem Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Gefangenen Fisch und Meeresgetier vor allem an kolumbianische Zwischenhändler und wenig Tourismus vor allem mit dem Verkauf von Molas ihr Geld. Molas sind mehrtägige Stickarbeiten, bei denen durch Ausschnitte und die unterschiedlichen Farben der verwendeten Stoffe feinste Muster oder Bilder dargestellt werden. Die Stickarbeiten sind so aufwändig, dass man für ein fertiges Mola (meist ca. 50x50cm) auch bei den sonstigen extrem niedrigen Preisen in den San Blas Inseln mehrere hundert Doller bezahlen muss. Jede Frau, die etwas auf sich hält, trägt ein Oberteil, das auf Brust und Rücken jeweils ein Mola trägt, der Rest des Kleidungsstückes ist schillernder Stoff (vergleichbar mit den billigen Tischdecken bei etwas in die Jahre gekommenen Restaurants in Deutschland). Aktuell ist giftgrün in Mode. Darunter dann meist einen einfarbigen Rock. Die Männer kommen mit Badehose aus.
- Homosexualität und Transvestismus sind bei den Guna Yala akzeptiert und vergleichsweise weit verbreitet. Eine der berühmtesten Mola-Stickerinnen war früher wohl mal ein Mann.
- Straßen und damit Autos gibt es nicht. Eigentlich findet jeder Austausch über das Wasser statt. Einige wenige haben inzwischen kleine offene Motorboote mit Außenborder, in der Regel sehen wir aber mit 1-4 Personen besetzte, besegelte und geruderte, Einbäume.
Um diese besondere Art des Zusammenlebens zu schützen, haben sich die Guna Yala selbst (für uns Außenstehende) krasse Regeln und Vorschriften gegeben. Los ging es ziemlich bald nach der Staatsgründung in Panama, als die Regierung in Panama City das Tragen von stammestypischer Kleidung und lokale Bräuche versucht hat zu verbieten. Wohl war die Idee aus den vielen verschiedenen indianischen Gemeinschaften dadurch einen Landesidentität zu ermöglichen. Die Guna Yala haben aber nicht nur heute noch durch Handelsbeziehungen, sondern auch geographisch schon immer mehr Kontakt zu Kolumbien (von diesem Land wurde Panama zum Bau des Panamakanals unter Mithilfe der USA unabhängig). Dort sind die individuellen Traditionen und Lebensweisen der verschiedenen Ureinwohner damals viel freier akzeptiert worden. Auch leben ca. 10 Prozent der Guna Yala auf heute kolumbianischen Gebiet. Als dann durch Panama mit Polizeigewalt versucht wurde, diese neuen, und von den Guna Yala verständlicherweise als Repression empfundenen, Regeln durchzusetzen, kam es zu einem blutigen Aufstand. Das ist umso bemerkenswerter, als dass die Guna Yala eigentlich ein überhaupt gar nicht kriegerisches oder aggressives Volk sind und in der ganzen Geschichte auch gegen benachbarte Stämme keine solche Handlung bekannt ist. Der Aufstand war auf beiden Seiten äußerst blutig. Nicht nur die meisten panamaischen Polizisten wurden ungebraucht sondern gleich noch viele viele der damals anderen „Ausländer“. Seien das Lebenspartner, Zugereiste Mitglieder der Dorfgemeinschaft oder auch nur „gemischte“ Nachkommen. Nach dieser „Befreieung“ – ich halte das Wort hier für unangebracht – und ihrer danach auch politisch erkämpften Autonomie haben die Guna Yala jedem Ausländer jeglichen Landbesitz und jede Art der Investition oder Beteiligung untersagt. Und Ausländer meint hier auch alle anderen Staatsbürger von Panama (oder Kolumbien). Bei jeder Form der Mischehe werden beide aus den Gemeinschaften ausgeschlossen und müssen die Autonome Region verlassen. Ausländer dürfen sich nicht permanent im Guna Yala Territorium niederlassen. Die Regeln hören sich für uns Europäer wie aus dem Mittelalter an und wir finden das etwas befremdlich. Für die Guna Yala sind die aber die Möglichkeit weiter so zu leben, wie sie das seit Jahrhunderten gewohnt sind und wohl mehrheitlich auch heute wollen.
Nachdem das Gebiet autonom verwaltet wird, müssen wir mit dem Boot (obwohl wir im Staat Panama bleiben) nochmal einklarieren und uns eine Befahrens-Erlaubnis für einen Monat kaufen. Das macht man an der einzigen Insel mit einem Flughafen und damit so etwas wie der Einfallstür für jede Art von Touristen, in Porvenir. Kaum, dass wir geankert haben, werden wir schon von zwei Einbäumen mit jeweils drei Frauen/Mädchen in Beschlag genommen und uns werden „Molas“ und Stickarbeiten bzw. Armbändchen angeboten. Das meiste sieht aber eher nach billigster chinesischer Ware aus oder ist schlicht nicht schön bzw. offensichtlich minderwertig gearbeitet. Wir kaufen dann eine Flagge der Guna Yala, um die als Gastlandflagge zu setzen, aber schon beim ersten Setzen reißt die Flaggleine aus. Als wir dann erst nach Gekichere (schließlich müssen wir deshalb in den Mast und die Leine neu einfädeln) eine neue Flagge bekommen und beide Einbäume erst nach penetrantestem Betteln und schließlich mit zwei Handvoll Keksen und Süßigkeiten (und der eine Einbaum trotzdem sichtlich sauer, weil wir nichts von dem Tand gekauft haben), abziehen, ist leider unser erster Eindruck der Interaktion mit den Indianern deutlich getrübt. Das war weder vom Gefühl bei uns noch dem Auftreten der Damen einen Deut anders, als die Boat-Boys in den Armen Ecken der Karibik wie zum Beispiel St. Vincent. Wir sind aber froh, dass sich das im Laufe unserer Zeit noch so deutlich ändert. Vermutlich sind die beiden Dörfer/Inseln am „Eingang“ in das Inselgewirr und nahe am Flughafen einfach schon zu sehr durch Touristen versaut. Und weil ich gleich dabei bin: Das einzig andere auffällig Negative, aber auch das Letzte, das uns bewusst wird, ist das Müllproblem. Selbstverständlich nutzen auch die Guna Yala inzwischen teilweise westliche Produkte und betreiben Handel. Leider hat es aber jede Art der Müllbeseitigung scheinbar noch nicht in die Gemeinschaften geschafft. Wir sehen erschreckend viel Müll im Meer treiben und fangen und auch zum glücklicherweise ersten Mal auf der Reise eine große Plastikplane mit dem Propeller ein. Wir hoffen, dass das in der Zukunft besser gelöst wird.
Mit diesen beiden Ausnahmen haben wir aber eine wirklich tolle Zeit. Die San Blas Inseln halten ihr Karibik-Klischee und wir verstehen, warum einige andere Segler uns dieses Inselgewirr als ihr absolutes Highlight in der Karibik genannt haben. Vergleichsweise flaches Wasser, sodass man immer gut ankern kann (aber nicht ganz so flach wie teilweise auf den Bahamas), weißer Sandstrand und Kokospalmen mit Indianern die in Einbäumen vorbei rudern oder segeln. Dazu liegen die Inseln alle richtig nah zusammen, sodass man deren mehr als 3 oder mal 4 Stunden vom einem zum nächsten Traumspot braucht. Und davon gibt es unüberschaubar viele. Unzählige Inseln, mal mit ein paar Hütten, manchmal über und über bebaut mit einem Dorf, dann wieder menschenleer, aber alle mit Ankermöglichkeiten, Sandstrand uns türkisem Wasser. Weil wir nur eine knappe Woche Zeit haben, suchen wir uns die Topspots aus und sehen so sicher bei weitem nicht Alles. Wir genießen aber die kurzen Etappen, die schöne Kulisse und vor allem das (trotz der Regenzeit) meist ganz brauchbare Wetter. Morgens kommt manchmal ein Einbaum mit zwei Männern vorbei, die fragen, ob wir frischen Fisch, Meeresgetier oder Lobster wollen. Manchmal lassen die auch ihre Handys da, weil bekannt ist, dass man die auf den Yachten wieder aufladen kann. Strom gibt es in den allermeisten Dörfern nämlich bis heute nicht. Und Mittags werden uns dann ans Boot Oktopus, Lobster oder tolle Fische gebracht, für die wir entweder Benzin oder Ähnliches tauschen oder einige wenige Dollar bezahlen. Und immer ist die Interaktion trotz der doppelten Sprachbarriere (die Indianer sprechen nicht Spanisch als Muttersprache sondern ihre eigene Indigene Sprache) sehr lieb und respektvoll. Schön, dass wir das gleich mehrfach so erleben und den ersten Eindruck deutlich ausmerzen können. So verbringen wir wirklich entspannte Tage in wunderbarer tropischer Kulisse. Und die wenigen Regengüsse sitzen wir einfach beim Kartenspielen unter Deck aus. Für die Segler unter den Lesern: Wir haben die Ankerplätze in den Coco Banderos Cays, in der Swimming Pool Anchorage in den East Hollandes Cays und bei Chicime angesteuert. Die elektronischen Seekarten in diesem Inselgewirr helfen nur sehr sehr eingeschränkt weiter, man kommt um den Hafen- und Revierführer von Eric Bauhaus quasi nicht herum. Ohne dessen detaillierte Karten und Beschreibungen hätten wir nur die Hälfte gesehen. Ganz entspannt verläuft auch die Tageplanung. Früh stehen wir auf, nach Frühstück und je nach Wetter etwas Schwimmen fahren wir zum nächsten Ankerplatz und kochen dann am frühen Abend aus den frischen Fischen und Meeresgetier unser Abendessen. Wir essen in dieser Zeit immer an Bord, Restaurants gibt es im Guna Yala Archipel nur als Beachbar untertags, Abends ist uns Europäern der Besuch auf den Inseln in der Regel untersagt. So haben wir aber richtig viel Zeit an Bord und für und mit den beiden Freundinnen im Karibikklischee.
Nach viel Buchtenbummeln, Baden, Schnorcheln, Karten- und Brettspielen und leckerem Essen geht es wieder zurück in die Shelter Bay Marina und wir lassen den gemeinsamen Urlaub mit einem Wochenende in Panama City (ausnahmsweise im Hotel) ausklingen.
Unsere Zeit in Panama City – als Zusammenstellung der Zeit mit Martina und Guila als auch unseren Eltern nach der Kanalpassage halten wir hier im übernächsten Blogeintrag fest. Danke fürs Mitlesen und eure Geduld mit neueren Beiträgen. Wie immer der Hinweis: Quasi tagesaktuell gibt es uns auf Instagram und die Geschichten dazu im bewegten Bildern auf YouTube. Einfach auf den gelben Link klicken und ihr kommt zu den entsprechenden Seiten. Wir freuen uns über euer Feedback und die Kontaktaufnahme auf jedem beliebigen Kanal.